MDR und Innovation – ein Spannungsfeld
Beauftragter für Bürokratieabbau lädt zum EU-Praxis-Check Medizinprodukteverordnung ein
11.04.2025

In der Glasvitrine sind künstliche Knie- und Hüftgelenke ausgestellt – die Firma PETER BREHM in Weisendorf stellt medizintechnische Implantate und Prothesen her, um Menschen wieder mobil zu machen – und wird durch die EU-Medizinprodukteverordnung (MDR) ausgebremst. Größer kann ein Gegensatz kaum sein.
Deshalb hat der Beauftragte für Bürokratieabbau, Walter Nussel, MdL, Unternehmer der Medizintechnikbranche, Vertreter der EU-Kommission, des Bundesministeriums für Gesundheit, der bayerischen Landesministerien, der Benannten Stellen, der Verbände und der IHK zum EU-Praxis-Check nach Weisendorf eingeladen, um die bürokratischen Problemfelder der MDR aus der Praxis heraus zu beleuchten und gemeinsam Vorschläge zur Vereinfachung und zum Bürokratieabbau zu erarbeiten.
Die EU-Medizinprodukteverordnung
Die MDR regelt die Voraussetzungen für das Inverkehrbringen von Medizinprodukten und den Erhalt einer CE-Kennzeichnung, damit Medizinprodukte in der EU vermarktet werden dürfen. Sie ist seit dem 26. Mai 2021 für Hersteller von Medizinprodukten in der EU verbindlich anzuwenden. Ziel der MDR ist es, die Sicherheit von Medizinprodukten über den gesamten Lebenszyklus weiter zu erhöhen. Im Wesentlichen sind damit strengere Vorgaben im Hinblick auf die Technischen Dokumentationen und die klinische Bewertung verbunden.
MDR gefährdet Wettbewerbsfähigkeit in Europa
Doch die MDR hat nicht dazu geführt, dass Medizinprodukte sicherer geworden sind – stattdessen hat sich der Dokumentationsaufwand laut Unternehmensvertretern nahezu vervierfacht, obwohl die Produkte unverändert sind. Mit der Einführung der MDR mussten alle (auch bereits etablierte) Produkte neu zertifiziert werden. Um diesen Zertifizierungsaufwand zu bewältigen, mussten betroffene MedTech-Unternehmen im Bereich „Forschung & Entwicklung“ einsparen und teilweise Produkte aus mangelnder Wirtschaftlichkeit aus der Produktpalette nehmen.
Die MDR hat somit genau das Gegenteil erreicht: Durch die aktuelle Ausgestaltung ist das Patientenwohl gefährdet, da Produkte vom Markt verschwinden und neue Produkte durch langwierige Zertifizierungen nicht rechtzeitig auf den Markt gelangen. Der Zertifizierungsaufwand bremst die Innovationskraft der Unternehmen aus und die Umsätze brechen ein; denn die höheren Zertifizierungskosten können nicht auf die Produktabnehmer (z. B. Krankenhäusern) umgelegt werden.
Die Folge: Innovationen, marktfähige Produkte und die Wettbewerbsfähigkeit deutscher und bayerischer Unternehmen haben drastisch abgenommen.
Massive Kritik aus der Praxis
Die Unternehmer äußern im EU-Praxis-Check massive Kritik. Sie bemängeln die fehlende inhaltliche Unterstützung für KMUs durch die EU-Kommission, die fehlende inhaltliche Beratung durch die Benannten Stellen, die fehlende Regelungen zu Innovationen und Nischenprodukten (der deutsche Mittelstand stellt in der Medizintechnikbranche überwiegend Nischenprodukte her), die fehlenden Regelungen für Ersatzteile und den erhöhten Dokumentationsaufwand (im Einzelfall bis zu 3.500 Seiten). Zudem sei die derzeit notwendige Rezertifizierung von Medizinprodukten überflüssig; denn die Produkte würden ohnehin durchgehend überwacht und wären zum Teil schon seit Jahren auf dem Markt etabliert.
Damit die europäische MedTech Branche den Anschluss an den Wettbewerb nicht verlöre, brauche es vereinfachte Verfahren für etablierte Produkte, Fast-Track-Verfahren für innovative Produkte, Regelungen für Nischenprodukte, weniger Berichtspflichten, niedrigere Zertifizierungskosten und die Abschaffung der Rezertifizierung, so der Tenor aus der Praxis.
Neue Märkte – USA und China
Aufgrund der aktuellen MDR haben Start-Ups in der Medizintechnikbranche in Europa beinahe keine Chance. In den meisten Ländern außerhalb der EU ist der Marktzugang leichter. Deshalb versuchen europäische Unternehmen vermehrt, ihre Produkte in den USA oder in China zuzulassen. Dort sind die Zertifizierungsverfahren kürzer (USA 90 Tage, China etwa ein Jahr) und vor allem die Mentalität kundenorientierter. Die Zertifizierungsstellen in den USA und China helfen den Unternehmen, ihre Produkte schnell an den Markt zu bringen und setzen sich dafür ein, dass Patienten schnell von Produktinnovationen profitieren.
Evaluierung der MDR bis Ende 2025
Louise Schlüter, EU-Kommission (DG Sante), und Wolfgang Bücherl, Leiter der Regionalvertretung der Europäischen Kommission für Baden-Württemberg und Bayern, halten der massiven Kritik aus der Praxis stand – ihnen sind die Probleme bei der Umsetzung der MDR bekannt. Derzeit läuft die Evaluierung der MDR anhand der fünf Kriterien Wirksamkeit, Effizienz, Relevanz, Kohärenz und EU-Mehrwert. Diese soll bis Ende des Jahres 2025 fertiggestellt werden. Für kurzfristige Lösungen sind sogenannte „short-term-actions“ geplant. Die Herausforderung im EU-Rat sei, auch die Positionen der anderen Mitgliedsstaaten zu berücksichtigen und entsprechend Mehrheiten zu schaffen.
Dieses Vorgehen bewerten die Unternehmen als problematisch: In vielen EU-Mitgliedsstaaten gäbe es keine Medizintechnik-Branche, somit sollten Länder ohne MedTech-Erfahrungen keine strengeren Vorgaben an die Sicherheit von Medizinprodukten stellen dürfen. Darüber hinaus sollte die EU-Kommission die Rückmeldungen der einzelnen Mitgliedstaaten entsprechend gewichten (z. B. anhand der Anzahl vertretener Unternehmen oder dem regionalen Branchenschwerpunkt im jeweiligen Mitgliedsstaat), da ansonsten einzelne Aspekte zu stark, andere zu gering bewertet werden.
Beauftragter fordert Überarbeitung der MDR
Am Ende des EU-Praxis-Checks in Weisendorf ist für Nussel klar: „Die MDR muss umfassend überarbeitet werden – im Hinblick auf den Abbau unnötiger Dokumentationspflichten, die Beschleunigung von Zertifizierungsverfahren und die Sicherung der Innovationskraft. Gleichzeitig muss klar sein, dass nicht jeder Einzelfall zu 100 % innerhalb der MDR geregelt werden kann. Wir brauchen in der MedTech Branche Innovationen und Geschwindigkeit, um im weltweiten Wettbewerb weiterhin bestehen zu können.“
Und zum Schluss noch ein Appell des Beauftragten an die beiden Vertreter der EU-Kommission: „Nehmen Sie die beim heutigen Praxis-Check ausgesprochenen Angebote der Unternehmen, Verbände, Ministerien und unserer Geschäftsstelle Bürokratieabbau zur Mitarbeit bei der Verbesserung der MDR an.“