Gemeinsame Erklärung der Normenkontrollräte des Bundes und der Länder
25.10.2024
Überbordende Bürokratie und komplizierte Verfahren sind in Deutschland ein massives Hemmnis für die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft sowie die Funktions- und Handlungsfähigkeit des Staates. Es gibt zwar Fortschritte: Im Bund und in zahlreichen Ländern wurden Digital-Checks bei neuen Regelungsvorhaben verpflichtend eingeführt. Die Umsetzung des Pakts für Planungs-, Genehmigungs- und Umsetzungsbeschleunigung zwischen Bund und Ländern ist angelaufen. Das Vierte Bürokratieentlastungsgesetz (BEG IV) ist auf der Zielgeraden. Mehrere Landesregierungen haben eigene Entlastungspakete geschnürt.
Diese Bemühungen müssen für eine spürbare Entlastung fortgeführt und intensiviert werden. Dafür braucht es eine ganzheitliche Betrachtung aller Ebenen und eine gemeinsame Kraftanstrengung aller Akteure.
Bürokratieabbau im Bestand und kein weiterer Bürokratieaufwuchs
Bürokratieabbau, Bürokratievermeidung und Verwaltungsmodernisierung müssen auf allen Ebenen hohe Priorität haben! Deregulierung und Entbürokratisierung sind kein Selbstzweck. Ziel ist vor allem, dadurch Ressourcen zur Bewältigung dringender Zukunftsaufgaben zu gewinnen. Bürokratieabbau im Bestand ist mühsam. Bestehende Vorschriften und Verfahrensweisen sollten gerade auch durch die Ministerien laufend hinterfragt und überprüft werden. Im Rahmen der gesetzten Ziele sollten keine unnötigen Vorgaben dazukommen, also kein weiterer Bürokratieaufbau. Die Bundesregierung hat vor einiger Zeit ein Belastungsmoratorium angekündigt. Dieses sollte in ein zeitlich begrenztes Regelungsmoratorium münden. Die freiwerdenden Kapazitäten sollten für eine Inventur des Regelungsbestandes genutzt werden (Regelungsinventur), um diesen zu entschlacken und praxistauglicher zu gestalten. Sich bei der Ausweitung des Regelungsbestandes zurückzuhalten und stattdessen im Bestand aufzuräumen, sollte im Bund und in den Ländern erklärtes Ziel sein.
Bürokratieabbau und -vermeidung auf EU-Ebene, kein Gold-Plating
Viele bürokratische Vorgaben wie Berichts- und Dokumentationspflichten haben ihren Ursprung in EU-Recht. Daher müssen Bürokratieabbau und Bürokratievermeidung auch zu Leitprinzipien der neuen Amtsperiode der EU-Kommission werden. In Deutschland ist gerade die Umsetzung von EU-Recht besonders bürokratieanfällig. Häufig nutzen Bund oder Länder die innerstaatliche Umsetzung, um die EU-weit vereinbarten Regelungen zu verschärfen oder entscheiden sich konsequent für die maximal mögliche Umsetzungsvariante (sog. Gold-Plating). Wir appellieren an Bund und Länder, auf die Übererfüllung von EU-Standards dort zu verzichten, wo zusätzliche Bürokratie geschaffen wird, ohne einen echten Mehrwert für Wirtschaft oder Gesellschaft zu schaffen. Das sollte auch mit einer kritischen Überprüfung bisher rein nationaler Standards einhergehen. Dabei kann sich Deutschland gute, weniger bürokratische Praktiken anderer Mitgliedstaaten zum Vorbild nehmen.
Bessere Rechtsetzung, Praxis- und Digital-Checks, Experimentierklauseln
Wir fordern praxistaugliche, schlanke Regelungen. Bei weiteren Bürokratieabbauinitiativen muss gerade auf Bundesebene der Vollzug durch Länder und Kommunen stärker als bisher, und vor allem systematisch, berücksichtigt werden. Die Bundesregierung sollte Rahmenbedingungen schaffen, um neue Werkzeuge der besseren Rechtsetzung zum Erfolg zu führen. Dabei ist vor allem auf die frühzeitige Anwendung dieser Werkzeuge im Gesetzesvorbereitungsprozess und auf auskömmliche Fristen zur Einbindung Betroffener zu achten. Es braucht eine neue Kultur in der Gesetzgebung. Dazu sollten Praxis-Checks zum festen Bestandteil der Gesetzesvorbereitung werden. Das Expertenwissen aus Wirtschaft und Verwaltungsvollzug muss besser genutzt werden. Bei Bundesgesetzgebung, die von Ländern und Kommunen umgesetzt werden muss, müssen Vollzugsfragen von Beginn an mitgedacht werden. Die Vollzugsebene muss frühzeitig und systematisch in die Schaffung neuer Regelungen einbezogen werden und braucht ausreichend Vorlauf für die Umsetzung von neuem Recht. Praxis-Checks mit Betroffenen aus Wirtschaft und Verwaltungen eignen sich auch, um Hemmnisse im Bestand aufzudecken und Lösungen zu erarbeiten. Digital-Checks müssen von allen Ministerien ernsthaft und zu einem frühen Zeitpunkt durchgeführt werden. Digitalisierung muss zur Entlastung aller Beteiligten und zur Beschleunigung von Prozessen beitragen. KI-Tools können auch in der Verwaltung zu Effizienzgewinnen beitragen. Wir ermutigen Bund, Länder und Kommunen, neue Wege und Instrumente auszuprobieren. Experimentierklauseln können Freiräume schaffen, um passgenaue Lösungen vor Ort zu erproben.
Aufgabenkritik auf staatlicher Ebene und Föderalismusdialog
Die Verwaltung hat damit zu kämpfen, dass die Regulierungsdichte stetig zunimmt, ihre Prozesse oft veraltet sind und aus einer Zeit ohne umfassende Digitalisierung stammen. Zugleich verstärkt sich der Fachkräftemangel. Darunter leidet die Verwaltungsqualität. Diese ist aber ein zentraler Baustein eines leistungsstarken und handlungsfähigen Staates, der die öffentliche Daseinsvorsorge und essenzielle Rahmenbedingungen für die Wirtschaft sicherstellen und auf multiple Herausforderungen adäquat reagieren kann. Dies wird nur gelingen, wenn alle staatlichen Ebenen eine ernsthafte Aufgabenkritik durchführen. Routineaufgaben müssen stärker automatisiert und Aufgaben intelligenter gebündelt werden. Bund, Länder und Kommunen müssen dazu einen Föderalismusdialog führen und gemeinsam prüfen, an welcher Stelle eine stärkere Konzentration, Standardisierung und Vereinheitlichung den Staat leistungsstärker und effizienter machen kann.
Messbare Ziele beim Bürokratieabbau
Grundsätzlich begrüßenswerte politische Entwicklungen, wie der Abbau von Bürokratie im Rahmen der Wachstumsinitiative der Bundesregierung oder Entlastungsgesetze bzw. -initiativen der Länder dürfen nicht als bloße Ankündigungen verhallen, sondern müssen zu greifbaren Ergebnissen führen. Dafür sollte sich die Politik konkrete und messbare Bürokratieabbauziele setzen. Eine ambitionierte Zielmarke auf Bundesebene wäre z. B. die Reduzierung laufender Belastungen durch gesetzliche Folgekosten um ein Viertel innerhalb von vier Jahren.
Über die beteiligten Institutionen:
Der Normenkontrollrat Baden-Württemberg (NKR BW) berät die Landesregierung Baden- Württemberg zu besserer Rechtsetzung, Bürokratievermeidung und Bürokratieabbau. Das unabhängige Expertengremium mit sechs Mitgliedern ist organisatorisch beim Staatsministerium Baden-Württemberg angesiedelt. Der NKR BW befasst sich mit neuen Rechts- und Verwaltungsvorschriften und macht Vorschläge zur Vollzugstauglichkeit sowie zu Rechts- und Verwaltungsvereinfachungen. Er beschäftigt sich auch damit, wie Hemmnisse im Bestand abgebaut werden können.
Der Bayerische Normenkontrollrat (BayNKR) berät und unterstützt die Bayerische Staatsregierung in Angelegenheiten des staatlichen Aufgabenabbaus, der Deregulierung und des Normenabbaus, des Abbaus entbehrlich gewordener staatlicher Förderungen, einer schlanken Verwaltung, des allgemeinen Normvollzugs sowie der Entbürokratisierung und Digitalisierung. Organisatorisch ist der BayNKR bei der Bayerischen Staatskanzlei angesiedelt und genießt mit Blick auf seine Empfehlungen eine thematische Freiheit und fachliche Unabhängigkeit.
Der Nationale Normenkontrollrat ist ein beim Bundesjustizministerium eingerichtetes unabhängiges Beratungs- und Kontrollgremium der Bundesregierung. Er sorgt dafür, dass bei gesetzlichen Regelungen die Folgekosten für Bürger, Unternehmen und Verwaltung deutlich und nachvollziehbar ausgewiesen werden. Diese Transparenz soll Entscheidungsträgern in Regierung und Parlament helfen, sich die Konsequenzen bewusst zu machen, bevor sie entscheiden. Ziel ist, unnötige Bürokratie und gesetzliche Folgekosten zu begrenzen und abzubauen.
Der Sächsische Normenkontrollrat ist ein bei der Sächsischen Staatsregierung eingerichtetes unabhängiges Gremium mit sechs Mitgliedern. Er hat die Aufgabe, die Staatsregierung bei der Umsetzung ihrer Maßnahmen auf den Gebieten des Bürokratieabbaus und der besseren Rechtsetzung zu unterstützen. Er prüft insbesondere die Darstellung des Erfüllungsaufwandes neuer Regelungen für die Bürgerinnen und Bürger, die Wirtschaft und die öffentliche Verwaltung. Der Sächsische Normenkontrollrat kann im Rahmen seiner Prüfungen Vorschläge zur Reduzierung des Erfüllungsaufwandes unterbreiten.
Der Thüringer Normenkontrollrat ist ein beratendes Gremium, das 2022 bei der Thüringer Staatskanzlei eingerichtet wurde. Er besteht aus sieben Mitgliedern einschließlich des Vorsitzenden und hat die Aufgabe, Gesetzentwürfe der Landesregierung und Entwürfe von Rechtsverordnungen zu prüfen mit dem Ziel des Bürokratieabbaus und der besseren Rechtsetzung. Überdies kann er konkrete Einzelprüfungen bestimmter Lebens- und Verwaltungsbereiche mit dem Ziel der Verfahrensvereinfachung, -verbesserung und -beschleunigung durchführen sowie die Wirkung von Rechtsvorschriften in der Praxis untersuchen.